Alle Branchenteilnehmer müssen für Veränderung bereit sein
Die SBB erproben Building Information Modeling (BIM) zurzeit an knapp zwei Dutzend Pilotprojekten. Andreas Brunner, Mitglied der Geschäftsleitung Infrastruktur SBB, ist überzeugt: Für der erfolgreichen Einsatz von BIM werden sich die Denkweise und Arbeitsmethode weiter verändern müssen.
Was genau ist Building Information Modeling?
Wörtlich übersetzt heisst BIM Gebäudeinformationsmodellierung – das trifft es schon relativ gut. Mittels BIM ist man in der Lage, neben der digitalen Planung und Ausführung von Projekten die notwendigen Daten für den Betrieb zu bestimmen und weiterzuverwenden. Dabei arbeitet man mit dreidimensionalen Modellen, die nichts anderes sind als visuell dargestellte Datenbanken. Das tönt jetzt kompliziert, ist es aber gar nicht, es ist nur eine neue Art des Arbeitens. Hatten wir früher zweidimensionale Pläne, sind es nun dreidimensionale digitale Gebäudemodelle. Wichtig ist, dass jeder Beteiligte auf die gleichen Daten zugreifen kann, neudeutsch: Single Source of Truth. Man kann sich also darauf verlassen, dass die in Datenbanken gespeicherten Daten nicht nur aktuell sind, sondern auch korrekt und natürlich relevant für die Weiterbearbeitung. Darin liegt auch der grösste Nutzen.
Weshalb haben sich die SBB dazu entschieden, bei Bauprojekten BIM zu nutzen?
Wir sehen hier deutliches Potenzial in der Datenweiterverarbeitung und im gesamten Wertschöpfungsprozess. Die SBB rechnen nachhaltig mit einer Reduktion der kapitalgebundenen Ausgaben für Planung, Realisierung sowie Bewirtschaftung von Immobilien. Dies gilt natürlich auch für die gesamte Bahninfrastruktur im Besitz der SBB.
Weiter können wir sehr stark auf die CO2-Reduktion hinwirken, da wir z.B. aufgrund der Daten simulieren können, wie der Betrieb sich über die nächsten 20, 25 und mehr Jahre entwickelt. Weiter kann man Projekte untereinander vergleichen und somit auch von anderen Projekten lernen. So schaffen wir Transparenz über den gesamten Lebenszyklus.
Wie wird BIM konkret beim Bau des Letziturm-Projekts eingesetzt?
Der Letziturm war eines der ersten Hochbauprojekte von SBB Immobilien, das mit BIM gestützten Methoden und Arbeitsweisen umgesetzt wird. Es ist auch ein Lernprojekt für die Bewirtschaftungsphase. Die Planung und die Realisierung eines solchen Projekts sind in zehn Jahren abgeschlossen, wir bewirtschaften das Gebäude aber mindestens viermal länger. So werden wir aus den Erkenntnissen beim Letziturm zum Beispiel Materialbemusterungen durchführen. Wir sind dabei, Planfreigaben über die Kollaborationsplattformen umzusetzen. Wir haben viel gelernt, was wir in der Optimierung von Planung und Realisierung einsetzen können – und das sehen wir als einen ersten wichtigen Schritt.
«Es geht nicht mehr allein als Bauherr.»
Welches Resümee ziehen Sie Stand heute vom Einsatz von BIM?
Wir haben das Potenzial von BIM für die SBB früh erkannt und mit dem dafür ins Leben gerufenen Konzernprogramm BIM@SBB die Entwicklung aktiv gestossen. So haben wir bereits wichtige Fortschritte erzielt. Das Programm BIM@SBB beruht auf vier Pfeilern, die einander bedingen: Entwicklung, Erprobung, Normierung und auf der konkreten Mitnahme der Branche. Wir teilen all unser Wissen und unsere Erfahrung mit unseren Partnern an Veranstaltungen und nehmen Inputs vom Markt auf, die wir konkret in die Entwicklung einfliessen lassen. Wir binden unsere Community ein. Es geht nicht mehr allein als Bauherr, es braucht ein starkes, gemeinsames Miteinander. Das zeigt sich auch in der Befähigung der Mitarbeitenden. Wir spüren ein sehr grosses Interesse der Mitarbeitenden, sie wollen gemeinsam voneinander lernen. Das ist wahnsinnig spannend und lehrreich für alle Beteiligten
Wo liegen die Vorteile?
Natürlich verändert eine nun datengestützte Umsetzung die Art und Weise, wie wir mit unseren Partnern zusammenarbeiten und die Projekte in enger Zusammenarbeit entwickeln. Projekte werden in der Tat schneller und sicherer abgewickelt, wenn alle Beteiligten sich auch darauf einlassen. Die bereits erwähnte «Single Source of Truth» ist ein weiterer Vorteil. Die Anlagendaten sind strukturiert abgelegt, rasch auffindbar und stets aktuell. Ein langwieriges Suchen und Verifizieren der Daten werden weitgehend entfallen. Die Kommunikation verläuft zielgerichteter als bisher und ist nutzenorientiert. Projektteams finden damit deutlich schneller Lösungen, können Probleme und Pendenzen direkt am dreidimensionalen Modell betrachten und gleich Varianten und Alternativen gemeinsam erarbeiten. Das hilft für das gegenseitige Verständnis.
Gibt es auch Nachteile?
BIM wird oft nur mit dem Technologieaspekt verbunden. Natürlich ist es schön, mit einer Hololens über die Baustelle zu schweben. Wenn aber die dahinter liegenden Daten nicht stimmen, nützt die modernste Technologie nichts. Daten müssen korrekt sein, es braucht eine neue Art der Genauigkeit des Arbeitens. Bei Daten gibt es nur zwei Zustände: Korrekt oder eben nicht. Nicht jeder in der Wertschöpfungskette ist bereit für den Einsatz von neuen Technologien und Methoden. Jeder in der Branche muss bereit sein, sich zu verändern und seinen Teil zum Gelingen beizutragen.
Was könnten die Gründe sein, dass sich BIM in der Schweiz noch nicht durchgesetzt hat?
Viele verbinden BIM mit dem Einsatz der neuesten Software oder der neuesten Datenbanktechnologie. Oft ist dies zwar notwendig, doch noch nicht ausreichend. Für den erfolgreichen Einsatz werden sich unsere Denkweise und Arbeitsmethode weiter verändern müssen. Im Umfeld von BIM wird dabei oft von kollaborativ zusammenarbeitenden Projektteams gesprochen, welche gemeinsam Lösungen entwickeln. Dieser Prozess beansprucht seine Zeit, doch der Trend stimmt mich positiv. Es liegt auch an uns öffentlichen Auftraggebern, diese Entwicklung weiter zu fördern und bei Projektvergaben den Einsatz von BIM zu verlangen, so wie wir dies am Projekt Letziturms getan haben.
Wie sehen die Ziele der SBB aus für den Einsatz von BIM?
Derzeit haben wir knapp zwei Dutzend Pilotprojekte, die wir mit Grundlagen versorgen und verschiedenste Methoden, Technologien und Techniken zu erproben. Dieses daraus gewonnene Wissen fliesst in die Entwicklung ein. Mittels Normierung und Standardisierung werden auch internationale Grundlagen berücksichtigt. So können wir sicherstellen, dass wir am Puls der Zeit sind. Dieses Wissen wird gezielt an die Branche zurückgegeben. Ab 2021 ist im Hochbau der Einsatz von BIM für bundesnahe Betriebe verpflichtend, so die digitale Strategie des Bundes, und ab 2025 für die Infrastruktur, da hier noch viel mehr erarbeitet werden muss. Das ist unser erklärtes Ziel.
SBB BIM-Projekt Letziturm:
Zwischen den Bahnhöfen Zürich Altstetten und Hardbrücke entwickelt sich entlang des Gleisfeldes aufgrund der Umstrukturierung bestehender Gewerbe- und Industrieflächen ein neues Stadtgebiet. Der Letziturm als sechsgeschossiger Gebäudesockel nimmt im Osten die Kante der denkmalgeschützten Lagerhalle auf. Er definiert damit einen ersten Stadthorizont. Die zwei Wohntürme orientierten sich an der Gebäudehöhe des Letzibach D. Aus dem geplanten Einzelturm entsteht somit ein Ensemble von drei hohen Häusern.
Der Baubeginn ist dieses Jahr erfolgt. Die 178 Wohneinheiten, bestehend aus 1,5 Zimmer- bis zu 7,5 Zimmer-Wohnungen, sollen ab Herbst 2022 bezugsbereit sein. Das Erdgeschoss ist geprägt durch die beiden Haupteingänge und die beiden Gewerberäume, die sich jeweils zum zukünftigen Platz und Richtung SBB Werkstätten ausrichten. Dazwischen eingespannt sind die Erdgeschosse von vier grösseren, doppelgeschossigen Wohnateliereinheiten, die Arbeiten und Wohnen vereinen und falls gewünscht direkt an den öffentlichen Raum anknüpfen.
Im Sockelgebäude sind sowohl die kleinen als auch die grösseren Wohneinheiten untergebracht. Oberhalb des 7. Obergeschosses, das einen Gemeinschaftsraum aufweist, sind 2,5- bis 4,5-Zimmer-Wohnungen geplant.■
Die Fakten
Armon Semadeni,
Architekt GmbH, Zürich.
Realisierung: 2017–2022
Termine: Geplanter Baubeginn: Herbst 2020
Bauherrschaft: SBB Immobilien, Development Zürich
Programm: 157 Wohnungen, Wohnateliers und Gewerberäume
Kosten: 75 Mio. Franken