Die Zukunft der Bau- und Immobilienbranche heisst Kreislaufwirtschaft
Obschon das Wort in aller Munde ist, engagieren sich erst etwa 10 Prozent der Schweizer Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft. Doch diese birgt riesiges Potenzial – gerade für den grössten Schweizer Abfallproduzenten, die Bau- und Immobilienwirtschaft.
Die Bauindustrie produziert mit einem Anteil von 84 Prozent in der Schweiz am meisten Abfall. Umso wichtiger ist deshalb gerade hier die Etablierung der sogenannten Kreislaufwirtschaft: Die beim Bau verwendeten Materialien und Produkte sollen nach dem Lebenszyklus eines Gebäudes wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden. Massgebend sind die drei «R»: reduce (reduzieren), reuse (wiederverwenden) und recycle (rezyklieren). In einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft entsteht möglichst kein Abfall. Stand heute engagieren sich gemäss einer Studie der Konjunkturforscher der ETH (KOF) und der Berner Fachhochschule (BFH) aber erst 8 bis 12 Prozent der Schweizer Unternehmen in Sachen Kreislaufwirtschaft.
Ein Unternehmen, das sich genau diesem Unterfangen verschrieben hat, ist Madaster. 2017 wurde die Firma in den Niederlanden gegründet und expandierte ein Jahr später als ersten internationalen Standort in die Schweiz. Madaster versteht sich als Cloud-Plattform, welche es Nutzern ermöglicht, die Daten ihrer Bauprojekte transparent darzustellen. Nutzer können auf der Grundlage eines BIM- (IFC) oder Excel-Dokuments einen Materialpass erstellen. Dies ist für Neubauten wie auch für bestehende Immobilien möglich. Verwendete Bauteile und Materialien werden erfasst – das System ergänzt die Daten automatisch mit Informationen über die Kreislauffähigkeit, Trennbarkeit, Nachhaltigkeit sowie den finanziellen Wert und schafft damit eine wertvolle Datenquelle. Madaster ermöglicht so die Planung und Nutzung von Gebäuden als Rohstofflager. Damit sollen langfristig die Abfallmenge sowie der CO2 – Ausstoss beim Bau drastisch reduziert werden.
Die Branche habe den Mehrwert dieses Angebots früh erkannt: «Immer mehr Bauherren und ihre Dienstleister nutzen den Materialpass und schaffen so Best-Practise-Beispiele, von denen die Branche lernen kann. Denn wer zirkulär baut, baut für die Zukunft», erklärt Marloes Fischer, CEO Madaster Services Schweiz. Das Unternehmen unterscheidet zwischen strategischen Partnern, sogenannten Kennedys, die die Entwicklung, Einführung und Implementierung der Online-Plattform finanziell und konzeptionell unterstützt haben, und Partnern, zu denen Entwickler, Architekten, Bauunternehmer, Berater, Ingenieure oder Banken gehören. «11 Kennedys haben den Start von Madaster in der Schweiz mitgetragen. Aktuell zählt Madaster über 30 Partner», führt Fischer aus. Unter den Partner:innen und Kennedys von Madaster sind nebst dem Bundesamt für Energie und Umwelt (Bafu) weitere bekannte Namen wie Eberhard, Mobimo, Pirmin Jung, Integral Baumanagement AG oder Swiss Prime Site gelistet.
Enormes Potenzial der Kreislaufwirtschaft
Zu den bekannten Partnern von Madaster gehört zudem Holcim Schweiz. Bis 2050 will das Unternehmen ausschliesslich klimaneutrale und vollständig rezyk-lierbare Baumaterialien produzieren. Um diese Transformation zu erreichen, arbeitet Holcim mit verschiedenen Hebeln und klar definierten Zwischenzielen für 2030. In der Kreislaufwirtschaft sieht das Unternehmen enormes Potenzial, um Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der Ressourcenknappheit wirkungsvoll zu begegnen. Mit innovativen Lösungen führt Holcim Abfälle in den Stoffkreislauf zurück und verwendet Beton immer wieder neu.
So produziert Holcim den weltweit ersten ressourcenschonenden Zement namens Susteno 4. Als Zumahlstoff wird industriell aufbereitetes Mischgranulat verwendet. Ausserdem wird ein Grossteil der fossilen Brennstoffe durch alternative Materialien ersetzt, wie Abfälle oder Klärschlamm. Der Zement entwickelte sich seit der Einführung 2018 mit einem Anteil von 10 Prozent zum zweitgrössten Produkt des Holcim-Portfolios. Auch der nachhaltige Beton Evopact basiert auf dem Zement Susteno und spart im Vergleich zu einem Standardbeton 10 Prozent CO2 ein. Damit will Holcim bis 2025 ein Viertel des Transportbetonumsatzes generieren. Bettina Kallenbach, Marketingleiterin Holcim Central Europe West, ist überzeugt: «Beton wird in naher Zukunft nur schwer zu ersetzen sein. Aber Beton ist ein Baustoff, der auf unterschiedlichsten Ebenen nachhaltiges Bauen möglich macht – sofern man sich den Herausforderungen stellt.»
Mit Themen wie Kreislaufwirtschaft, Dekarbonisierung und erneuerbare Energie beschäftigt sich Holcim schon lange. Kallenbach ist überzeugt: «Für Netto-Null wird Carbon Capture and Use and Storage (CCUS) ein wichtiger Hebel sein. Holcim arbeitet hierbei an skalierbaren Massnahmen und Lösungen.» Darüber hinaus betreibt Holcim bereits mehrere Recycling-Aufbereitungsanlagen in der ganzen Schweiz. Gemeinsam mit Partnern verfolgt das Unternehmen damit das Ziel, aus regionalem Aushub, Beton- und Mischabbruch hochwertige neue Baustoffe für den jeweiligen lokalen Markt aufzubereiten. Damit werden gleichzeitig der Einsatz alternativer Roh- und Brennstoffe in der Zementproduktion erhöht und schweizweit Primärressourcen sowie Deponieraum gespart.
Als Beispiel nennt Holcim die Sanierung des Arosertunnels: Die grosse Menge an belastetem Ausbruchmaterial wird im Zementwerk Untervaz aufbereitet und zu Zement verarbeitet, der wiederum im 300 Meter langen Tunnel verbaut wird. So schliesst sich der Baustoffkreislauf. Mit ihrer Tochterfirma «Geocycle» reduziert das Unternehmen zudem massgeblich CO2. Mit «Co-Processing» in den Anlagen sorgt das Unternehmen für die thermische Verwertung brennbarer Abfälle und rezykliert mineralische Abfälle zu neuem Klinker und zu Zement. Damit konnte der Konzern 2021 rund 150’000 Tonnen CO2 einsparen, indem 160’000 Tonnen brennbare industrielle Abfälle in der Zementproduktion verwertet wurden.
Dank Madaster erhalten Baumaterialien im Bestand eine Identität und einen Wert
Dass die Kreislaufwirtschaft grosses Potenzial birgt, zeigt auch die bereits erwähnte Studie. Laut dieser hat die innovative Schweiz Vorteile, die Transformation zu schaffen und nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu generieren. Derzeit würden aber oft noch die Möglichkeiten sowie das Wissen fehlen, um die bestehenden Produkte und Dienstleistungen einer Kreislaufwirtschaft anzupassen. Die parlamentarische Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» soll neue Rahmenbedingungen für eine moderne und umweltschonende Kreislaufwirtschaft schaffen. Die Vernehmlassung ergab im Oktober 2022, dass die Verankerung der Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft im Umweltschutzgesetz grossmehrheitlich begrüsst wird.
In der Baubranche liegt der Fokus zurzeit im Bereich Recycling, einem von mehreren möglichen Einstiegen ins zirkuläre Bauen. Fischer sagt: «Die Geschäftstätigkeiten der Firmen dürften vermehrt in Richtung Herstellung von kreislauffähigen Produkten, zirkuläre Ausschreibungen und Wettbewerbe sowie in Richtung Dokumentation von Materialien und Bauteilen, die in Gebäuden verbaut sind, gehen.» Madaster bietet gerade für Letzteres ein ausgeklügeltes Werkzeug. Das sieht auch Bettina Kallenbach so: «Ein Kataster von verbauten Materialien ist ein wichtiger Baustein im Hinblick auf die Schliessung von Kreisläufen. Künftige Generationen müssen Zugang zu Daten haben, aus denen hervorgeht, welche Baumaterialien in welcher Qualität wo verbaut sind. Dadurch erhalten Baumaterialien im Bestand eine Identität und einen Wert. Madaster bietet die zentrale digitale Plattform dafür.»
Wenn man bedenkt, dass die Schweiz den Treibhausgas-Ausstoss bis 2030 halbieren will und für das Erreichen der Klimaneutralität 2050 die Emissionen aus Verkehr, Gebäuden und Industrie um bis zu 90 Prozent reduziert werden müssen, wird nachhaltiges und zirkuläres Arbeiten umso bedeutender. Erste Unternehmen wie Holcim gehen mit gutem Beispiel voran. Hier hat aber die gesamte Immobilien- und Baubranche die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen.