«Grosse Projekte sind immer schwieriger realisierbar»
Josef Wiederkehr führt in 4. Generation das Familienunternehmen, die J. Wiederkehr AG. Als Unternehmer und CVP-Politiker macht er sich für wichtige Anliegen des Limmattals wie beispielsweise die Hochbahn Silbern-Niderfeld oder die S-Bahn-Station Silbern stark.
Sie sind Politiker und Unternehmer. Ende 2019 haben Sie sich aus der aktiven Politik zurückgezogen, weshalb?
Nachdem ich 15 Jahre im Kantonsrat aktiv war und insgesamt 13 Jahre im Gemeinderat, war es an der Zeit, dieses Kapitel zu schliessen. Ich wollte frischen, neuen Kräften Platz machen und wieder mehr Zeit für meine Familie, meine Mitarbeitenden und für neue Projekte haben.
Als Politiker machen Sie sich beispielsweise für eine S-Bahn-Station Silbern stark oder auch für eine Hochbahn zwischen dem Entwicklungszentrum Niderfeld und dem Gebiet Silbern. Wie bedeutend ist eine solche Verkehrsanbindung für diese Gebiete?
Eine Verkehrsinfrastruktur ist immer wichtig für eine Region. Das Limmattal hat gute Infrastrukturen, dennoch haben wir noch einige Nadelöhre. Die S-Bahn-Station Silbern könnte eine grosse Entlastung bieten für das Gebiet Silbern-Lerzen-Stierenmatt und später auch für das Niderfeld. Die geplante Hochbahn zwischen diesen Gebieten wäre natürlich das Nonplusultra – vor allem, wenn die Limmattalbahn danach direkt mit dem neuen Bahnhof verbunden wäre.
Gibt es bereits Fortschritte zu verzeichnen?
Leider mahlen in der Politik die Mühlen sehr langsam. Es braucht Geduld und Hartnäckigkeit. Das Anliegen einer Hochbahn ist deponiert. Sie fliesst derzeit auch aktiv in die Planung für das Gebiet Niderfeld ein. Die S-Bahn-Station Silbern ist im kantonalen Richtplan mit einer hohen Dringlichkeit verankert, doch beissen wir auf Bundesebene noch etwas auf Granit. Man ist der Auffassung, dass zuerst das Verkehrsproblem des Nadelöhrs der Bahnverbindung zwischen Zürich und Aarau gelöst werden muss. Aber wir bleiben am Ball.
Sie führen in vierter Generation das Familienunternehmen, die J. Wiederkehr AG. Wie stark ist Ihr politisches Engagement mit der Vertretung eigener Interessen verbunden?
Ich habe eine exekutive Tätigkeit immer bewusst ausgeschlossen, um nicht mit den Vorwürfen konfrontiert zu werden, dass ich Politik um meinetwillen mache. Natürlich hilft mir meine politische Erfahrung auch beruflich. Ich weiss, wie gewisse Mechanismen funktionieren. Insofern kommt mir mein politisches Wirken durchaus zugute. Aber dieses Wissen möchte ich im Interesse des Allgemeinwohls einsetzen und nicht, um für mich und meine Firma Profit daraus zu schlagen. Ich setze mich insbesondere auch weiterhin für die Anliegen des Gewerbes und der Hauseigentümer ein.
Sie sind einer der drei grössten Grundeigentümer des Niderfelds. Wie kam es dazu?
Der grösste Teil des Landes in unserem Besitz geht auf mindestens drei Generationen zurück. Zusätzlich hatten wir vorüber 30 Jahren die Idee, dort einen Lagerplatz für unser Gerüstbauunternehmen zu erstellen. So kamen weitere Grundstücke hinzu – die Idee liess sich dann aber leider nicht umsetzen, das Land haben wir aber behalten.
Lässt eine solch riesige Baulandreserve wie das Niderfeld ihr «Bau-Blut» in Wallung geraten?
Nicht nur. Ich mache mir Sorgen, weil ich feststelle, dass gerade in der Schweiz und im Kanton Zürich grosse Projekte immer schwieriger realisierbar sind. Denken wir nur an das Fussballstadion in der Stadt Zürich oder das Kongresszentrum. Gerade grosse Projekte haben viele Hürden zu überwinden. Die Regelungsdichte ist inzwischen sehr hoch. Solche Regeln sind oft in der Vergangenheit entstanden und nicht sehr hilfreich für die Entwicklung eines neuen Gebietes. Auch hier braucht es Geduld und Hartnäckigkeit, damit am Ende doch einmal etwas Schönes auf dem Niderfeld entsteht.
Würde man Ihnen freie Hand lassen, welche Vision haben Sie für das Niderfeld?
Ich hätte es nicht so gemacht, wie es jetzt geplant ist. Dietikon hat bereits sehr viele schöne Naherholungsgebiete. Das Geld hätte ich eher investiert, um die bestehenden Naherholungsgebiete aufzuwerten und besser zu nutzen. Die sehr grosse Parkanlage im Niderfeld später sinnvoll mit Leben zu füllen, wird eine grosse Herausforderung.
Wie ist der aktuelle Stand des geplanten Projekts?
Die Planungsarbeiten sind noch immer voll im Gange. Der Quartierplan wurde inzwischen beim Kanton zur Prüfung eingereicht. Wir warten gespannt auf die Rückmeldung. Aber es wird weiterhin ein langer und beschwerlicher Weg bleiben.
Sind Sie zuversichtlich, dass im Jahr 2028 mit dem Bau begonnen werden kann?
Ich wage es nicht, eine Jahreszahl zu nennen. Vor einigen Jahren war man noch der Meinung, dass zuerst im Niderfeld gebaut wird und dann die Limmattalbahn kommt. Heute ist es offensichtlich, dass die Limmattalbahn schon lange vor dem Baustart durch das Gebiet fahren wird.
Wie erlebten Sie den Wandel Dietikons in den letzten zehn Jahren?
Ich gehe sogar einen Schritt weiter zurück: Als ich in der Schule war, war Dietikon die drittgrösste Stadt im Kanton Zürich mit rund 25’000 Einwohnern. Dietikon hat sich dann über viele Jahrzehnte nicht gross entwickelt. Demgegenüber ist Uster geradezu explodiert. Erst in den letzten Jahren ist Dietikon mit beispielsweise der Entwicklung des Limmatfeldes wieder etwas gewachsen. Aber nach wie vor hat es viele ältere Bausubstanz, die erneuert werden sollte.
Wie wird Dietikon in fünf Jahren aussehen?
Innert fünf Jahren wird sich noch nicht allzu viel ändern. Die Limmattalbahn wird sicher fahren. Hoffentlich haben wir bis dann den Verkehr einigermassen im Griff und die flankierenden Massnahmen für den Autoverkehr umgesetzt. Ich persönlich finde es gut, wenn ein Wandel stetig passiert und nicht auf einen Schlag. Was heute gebaut wird, ist in 30 Jahren auch bereits wieder älter. Von daher ist eine regelmässige Konstanz in meinen Augen besser für die Entwicklung einer Gemeinde oder Stadt.
Weshalb lohnt es sich, in Dietikon zu leben?
Mir gefallen ganz besonders die Naherholungsgebiete. Selbst wenn man im Zentrum von Dietikon wohnt, ist man in wenigen Minuten an der Limmat, die kilometerlange Spazierwege bietet. Wir haben zudem den wunderschönen Guggenbühl-Wald. Die Naherholungsgebiete sind im Gegensatz zu anderen Regionen auch nicht völlig überlaufen.
Sie sind Aktionär der Limmatstadt AG. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Mich fasziniert, dass die Limmatstadt probiert, den Fokus zu öffnen, das Limmattal breiter zu sehen – über die Kantonsgrenze hinaus. Sie wagt es, einen visionären Blick auf die Region zu werfen. Niemand weiss, wie das Limmattal in 40, 50 Jahren aussehen wird. Trotzdem ist es wichtig, dass wir uns auch mit solchen Ideen beschäftigen. Ich denke, dass die Limmatstadt eine gute Plattform dafür ist.
Das Limmattal wird vom Kanton Zürich als Wachstumsregion gesehen. Besteht da nicht die Gefahr, dass das Gebiet zu sehr mit Wohnungen, Arbeitsstätten und Strassen zugepflastert wird?
Ich glaube, dieses Risiko ist nicht sehr gross. Das Siedlungsgebiet ist im kantonalen Richtplan ausgeschieden. Das kann sich in den nächsten 15 Jahren nicht vergrössern. Die Naherholungsflächen wie auch Grünflächen und Wälder sind ebenfalls ausgeschieden. Ich denke, wir tun gut daran, wenn wir unsere Naturräume entsprechend pflegen und da und dort Aufwertungsmassnahmen durchführen.
Das Limmattal ist auch stark mit Verkehrsinfrastrukturen belastet. Wie gross ist dieses Problem heute?
Das ist vielleicht das Schicksal der Täler, dass sie auch häufig eine Verbindungsachse sind. Der Vorteil ist die gute Infrastruktur, die das Limmattal als Wohnort attraktiv macht. Für die Wirtschaft ist diese ebenfalls ein riesiger Vorteil, die aber dennoch Belastungen birgt. Ein gewisser Bedarf an Infrastruktur hat sich aufgestaut. In den letzten Jahren wurde hier zu wenig investiert. Es ist wichtig, dass der Verkehr auf der Autobahn fliesst. Nur so können wir einen Ausweichverkehr durch die Städte und Gemeinden verhindern.
Wie könnte die Lösung aussehen?
Die Limmattalbahn wird über eine gewisse Kapazität verfügen und ist sicher ein guter Lösungsansatz. Aber auch der Autobahnausbau Zürich-Bern mit einer zusätzlichen Spur, die Erweiterung des Limmattaler Kreuzes und der Ausbau des Gubrists dürften helfen, den Verkehr auf der Autobahn wieder zum Fliessen zu bringen und den Schleichverkehr durch Gemeinden zu stoppen. Nach wie vor müssen wir dafür kämpfen, dass Dietikon endlich eine brauchbare Umfahrungsmöglichkeit erhält – sei das eine oberirdische Strasse oder ein Tunnel, wie es schon vor Jahrzehnten die Idee gewesen ist. Im kantonalen Richtplan ist eine Umfahrungsstrasse vorgesehen. Nur ist diese schwer realisierbar, weil sie grösstenteils durch bewohntes Gebiet führen würde.
Für wie realistisch halten Sie es, dass die Öffentlichkeit das Limmattal in den kommenden Jahren als «Limmatstadt» wahrnimmt?
De Facto ist Dietikon schon seit Jahrzehnten eine Stadt, trotzdem bezeichnen sie viele Bewohner als Dorf. Letztlich ist es eine Wahrnehmungsfrage, ob wir von einer Stadt oder von einem Dorf reden. Für mich ist wichtig, dass sich die Menschen in unserer Region wohlfühlen, sich aktiv einbringen und mithelfen – in den Vereinen wie auch in der Politik. Das ist für mich entscheidender als die Frage, ob das Limmattal ein Dorf oder eine Stadt ist.
Ihre Heimatstadt ist Dietikon. Eine Stadt, die – so sagen manche – immer ein wenig dazwischen fällt. Dietikon sei zu weit von Zürich und zu weit von Baden entfernt und stehe somit eher für sich allein. Wie sehen Sie das, schafft Dietikon die Integration in die Limmatstadt und wie?
Grenzregionen sind immer vor besonders schwierige Herausforderungen gestellt. Insofern begrüsse ich die Initiative der Limmatstadt, dass sie die Region grenzübergreifend betrachtet und die Zusammenarbeit über die Kantonsgrenze hinaus fördert. Das Limmattal liegt in zwei verschiedenen Kantonen. Das bringt auch gewisse Chancen, dass man eventuell von den Vorzügen beider Kantone profitieren kann. Was das Einkaufsangebot anbelangt, hat Dietikon seit Jahrzenten einen schweren Stand. Das wird sich wahrscheinlich auch die nächsten Jahrzehnte nicht ändern.
Wird es nach der Überbauung der letzten grossen Flächen in Dietikon überhaupt noch Raum für grosse neue Projekte geben?
Ich denke, die nächsten 30 Jahre wird es keinen zusätzlichen Siedlungsraum geben. Im Fokus wird die Verdichtung des bestehenden Siedlungsgebietes stehen. Das sollte für die Bevölkerung so verträglich wie möglich geschehen. Die Coronakrise hat gezeigt, dass die Leute genügend Platz in ihrer Wohnung oder auch eigene Grünflächen und Privatsphäre schätzen. Hier sehe ich auch eine Chance, dass wir einiges besser und lebenswerter machen können als so manche grosse anonyme Stadt. ■