Paradigmenwechsel in der Energieplanung
Empa-Forscher Matthias Sulzer und Berkeley-Lab-Forscher Michael Wetter fordern einen radikalen Wandel in der Planung von Gebäude- und Energiesystemen. Sie schlagen einen stärker automatisierten und modellbasierten Planungsprozess vor, der der Komplexität und Flexibilität zukünftiger Energiesysteme gerecht wird und die Dekarbonisierungsziele unterstützt.
Zahlreiche Länder haben sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein. Dies erfordert für Gebäude- und Energiesysteme einen raschen Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien und eine stärkere Vernetzung verschiedener Sektoren. Gebäude, Mobilität, Industrie sowie Strom, Wärme und synthetische Brennstoffe müssen interagieren und integriert geplant werden. Matthias Sulzer von der Empa und Michael Wetter vom Lawrence Berkeley National Laboratory argumentieren, dass die aktuellen Planungsprozesse dieser Komplexität nicht gerecht werden und daher ein Paradigmenwechsel notwendig ist.
Aktuelle Planungsprozess – ein Silo-Denken
Heutige Planungsprozesse sind nach Disziplinen organisiert, was zu ineffizienten und suboptimalen Ergebnissen führt. Ingenieure und Architekten arbeiten nacheinander, anstatt interdisziplinär zusammen. Diese lineare, «Wasserfall»-artige Vorgehensweise lässt wenig Raum für Iterationen und Optimierungen im Gesamtsystem. Sulzer betont, dass dieser Ansatz nicht mehr ausreicht, um den Anforderungen zukünftiger, flexibler Energiesysteme gerecht zu werden.
Inspiration aus der Chip-Industrie
Sulzer und Wetter schlagen einen Planungsansatz vor, der von der Chip-Industrie inspiriert ist. Der Elektronik- und Computer-Wissenschaftler Alberto Sangiovanni-Vincentelli hat mit seinem «Platform-based Design» die Chip-Herstellung revolutioniert. Dieses Konzept nutzt verschiedene Abstraktionsebenen zur ganzheitlichen Analyse und Optimierung von Systemen und schafft allgemeingültige, modular kombinierbare Modelle. Dieses Modell könnte auch auf Gebäude- und Energiesysteme angewendet werden, um die Planung zu automatisieren und zu modularisieren.
Vorteile eines modellbasierten Planungsprozesses
Ein modellbasierter Planungsprozess würde bedeuten, dass Modelle nicht nur zur Analyse, sondern auch zur Spezifikation und zum Bau von Systemen genutzt werden. Diese Blaupausen könnten modular kombiniert werden, um das Design und die Funktionalität eines Systems eindeutig zu bestimmen. Dies würde die Planungs-, Bau- und Betriebsprozesse revolutionieren und die notwendige Digitalisierung und Automatisierung fördern, um die ehrgeizigen Dekarbonisierungsziele zu erreichen.
Pilotprojekt an der Empa
Das EU-Projekt GOES, geleitet von der Empa, ist ein erster Schritt zur Anwendung des «Plattform-based Design» im Energiesektor. Auf dem Empa-Campus in Dübendorf wird eine Pilotanlage mit 144 Erdsonden als erste Anwendung dieses Konzepts entwickelt. Ziel ist es, die verschiedenen Abstraktionsebenen der Entscheidungsfindung zu definieren und die Schnittstellen zu standardisieren.
Die Umsetzung eines automatisierten und modularen Planungsprozesses ist entscheidend für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050. Sulzer und Wetter sind überzeugt, dass dieser Paradigmenwechsel die Flexibilität und Effizienz der Energiesysteme erheblich steigern wird. Der Ansatz bietet eine vielversprechende Lösung, um die Herausforderungen der Dekarbonisierung zu meistern und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.