«Planerische Rahmenbedingungen mit Weitsicht setzen»
Balz Halter, Verwaltungsratspräsident des gleichnamigen Immobilienunternehmens mit Sitz im JED in Schlieren, spricht im Immo!nvest-Interview über künftige Stadtplanung, Ausbauszenarien des Flughafens Zürich und neue Projektentwicklungen in der Metropolregion.
Zur Person
Balz Halter ist Hauptaktionär und Verwaltungsratspräsident der Halter AG. Die Unternehmensgruppe der Schweizer Bau- und Immobilienwirtschaft beschäftigt rund 320 Mitarbeitende an den Standorten Schlieren, Bern, Basel, Luzern, Lausanne, Genf und St. Gallen. Der Ingenieur ETH und Jurist ist bekannt für Unternehmergeist und Innovationskraft. So hat sein Unternehmen «The Branch», ein Do-Tank und eine Kollaborationsplattform für eine innovative und integrierte Immobilienwelt, initiiert.
Herr Halter, Ihr Unternehmen ist seit über 100 Jahren am Markt tätig. Was hat sich seither in der Stadtplanung verändert und was ist gleichgeblieben?
Unverändert ist sicher immer noch die Anziehungskraft von Wirtschaftsmetropolen wie Zürich. Den Drang in die Stadt gab es schon vor 100 Jahren und er ist heute nicht geringer, wahrscheinlich sogar grösser. Es ist immer noch der gleiche Kampf um günstigen Wohnraum. Das wird ein ewiges Thema in allen Städten bleiben. Anders als damals macht man sich heute kaum Gedanken zu einer übergeordneten Stadtplanung und der Frage, wie sich Stadt über ihre politischen Grenzen hinaus entwickeln soll. Mit Aufkommen des Individualverkehrs und Ausbau der S-Bahnen wurde primär in Infrastrukturen gedacht und geplant. Entstanden ist die konturlose Agglomeration, die weder Dorf noch Stadt ist und ihre Identität sucht. Den Herausforderungen des Wachstums und die damit verbundene Not an zahlbaren Wohnraum begegneten unsere Ahnen vor 100 Jahren mit dem internationalen Städtebauwettbewerb Gross-Zürich, der sich weit über die damaligen Stadtgrenzen Zürichs erstreckte. Es wäre höchste Zeit, wieder einen derartigen Wettbewerb angepasst auf die aktuellen Anforderungen und Herausforderungen zu veranstalten.
Gibt es hier vielleicht einen Wechsel durch die aufkommende Elektromobilität?
Wir wissen, dass sich etwas verändern wird, aber wir sehen noch zu wenig klar, was da auf uns zukommt. Wie und wann sich Konzepte des Selbstfahrens, motorisierter Individualverkehr im Sharing-Modell kommen wird, wissen wir noch nicht. Wie dieser im Zusammenspiel mit öffentlichen Verkehrsträgern wie Tram, Bus und Bahn funktionieren oder diese sogar teilweise ersetzen werden, können wir noch nicht abschätzen. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass diese Entwicklungen Auswirkungen auf die Stadtplanung haben werden, insbesondere auf den öffentlichen Raum. Möglicherweise werden weniger Parkplätze als Umschlagplätze gefragt sein.
Im Wandel der Mobilität, von der Pferdekutsche bis zum Automobil und vielleicht sogar bis zur künftigen Drohne als individuelles Verkehrsmittel, muss man wie früher auch schon die Strukturen grosszügig planen, dann kann sich Vieles ergeben. Wir sehen gerade vor der Tür in Schlieren mit der Limmattalbahn oder auch im Glatttal die Wiedergeburt der Strassenbahn. Das ist möglich, wenn öffentliche Räume zur Verfügung stehen. Deshalb wäre es falsch, grundsätzlich von einem Paradigmenwechsel auszugehen.
Faktor Flugzeug und Flughafen – wie strahlt das auf die Region Zürich und die Immobilienprojekte aus?
Der Flughafen ist ein Treiber für Arbeitsplätze, Wohlstand und Prosperität. Wir verdanken wohl dem Airport Zürich auch, dass Zürich die Wirtschaftsmetropole in der Schweiz ist. Es war damals ein strategischer Entscheid, den Landesflughafen im Gebiet des damaligen Waffenplatzes Kloten-Bülach anzusiedeln. Davon profitieren wir alle heute in hohem Mass. Wir müssen diesen Vorteil weiter nutzen und dem Flughafen mit seiner Hub-Funktion Sorge tragen, so dass er direkte Verbindungen in alle Welt auch nach Corona bieten wird. Das Reisen wird wieder zunehmen, wenn auch nicht in dem rasanten Tempo, wie wir es zuvor erlebt haben. Der Flughafen Zürich hat eine enorm grosse Bedeutung und ich hoffe, dass das auch so bleibt.
Braucht es einen Flughafenausbau, und falls ja, wie und wann?
Im Wettbewerb der Volkswirtschaften ist die Schweiz als Binnenland und Exportnation auf diese Stärke angewiesen. Wir müssen den Flughafen als langfristiges Projekt verstehen, dass sich wandelnden Bedürfnissen anpassen kann und muss. Deshalb müssen wir planerisch und regulatorisch die Basis schaffen, dass ein weiterer Ausbau möglich bleiben wird. Ob das dann wirklich geschieht, steht auf einem anderen Blatt. Das können und müssen wir nicht heute oder morgen entscheiden. Aber die Rahmenbedingungen müssen mit Weitsicht gesetzt werden.
Im Moment sind Lärm und Nachhaltigkeit sowie fossile Brennstoffe grosse Themen. Dank Fortschritt bei neuen Antriebsmodellen und bei der Energiegewinnung wird es auch in der Flugindustrie zu Veränderungen kommen. Es wird andere Kraftstoffe geben, die nachhaltiger sind. Die Lärmbelastung durch den Luftverkehr wird von Jahr zu Jahr weiter sinken. Auch deshalb können und sollten wir Weichen stellen, um einen Airport-Ausbau zu ermöglichen und Wachstum zuzulassen.
In der Flughafenregion sind Sie zuhause und haben bereits eine Vielzahl an Projektentwicklungen mit Ihrer AG realisiert. Die jüngste in dieser Reihe ist eine Neuüberbauung in Wetzikon in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof. Was ist hier der aktuelle Stand und was entsteht dort genau?
Das Zentrum Metropol, so der Name des Projektes, ist in meinen Augen ein wegweisendes Vorhaben, das als Modell für Zentrumsüberbauungen in Subzentren dienen könnte. Aus der Sicht des Stadtentwicklers ist es deshalb spannend, weil wir es mit der Um- und Neunutzung eines Einkaufszentrums zu tun haben. Shoppingcenter kennt man aus den 1960er und 1970er Jahren und mit dem Projekt Metropol erfolgt in Wetzikon eine Neuinterpretation dieses Modells. Geplant ist ein neuartiges Einkaufskonzept, das auch nach aussen strahlt. Wir bauen einen Stadtbaustein, der die verschiedenen öffentlichen Räume vernetzt und das Leben dort unterstützt. Wir interpretieren Stadt quasi neu. Es wird nicht mehr ein in sich geschlossenes System sein, sondern ein offener, zugänglicher und vielfältiger Ort für alle. Die Nutzungen werden gemischt sein: neben Retail- entstehen Dienstleistungsflächen, Wohnungen sowie Angebote für Coworking und neue Formen des Zusammenarbeitens. Wir streben einen guten Mix an, so dass der Ort lebt, nicht nur zu Büro- oder Geschäftszeiten. Wetzikon soll an Attraktivität gewinnen, gegenüber den grossen Zentren Zürich und Winterthur, so dass die Leute in ihrer Stadt bleiben.
Stichwort «Digitales Planen und Bauen»: Mit Raumgleiter besitzt Halter hier eine wegweisende und innovative Schwestergesellschaft. Was wird heutzutage noch analog gemacht und was bereits alles digital?
Raumgleiter ist ein Pionier im Bereich Virtualisierung, digitaler Planungs- und Bauprozesse auf der Basis von 3D-Modellen, respektive des digitalen Zwillings eines Gebäudes. An diesen Themen arbeiten wir bei Raumgleiter, aber eigentlich in allen Unternehmen unserer Gruppe. Doch: Immobilien sind und bleiben real. Deshalb ist deren Realisierung und auch vieles im Betrieb analog und wird es auch in Zukunft bleiben. Die Digitalisierung hilft uns jedoch, die heute sehr komplexen, hoch fragmentierten Bau- und Betriebsprozesse neu zu gestalten. Das Ziel muss sein, dass Gebäude effizienter und nachhaltiger erstellt und betrieben werden können, in hoher Qualität und ausgerichtet auf die tatsächlichen Bedürfnisse ihrer Nutzer. Wir stehen noch am Anfang: die Digitalisierung bietet unserer Industrie jedoch ein enormes Potenzial.
Welche Rolle spielt dabei der von Ihnen mitinitiierte Do-Tank «The Branch»?
Im Branch kommen viele verschiedene Beteiligte aus der Bau- und Immobilienwirtschaft zusammen: Unternehmer, Dienstleister, Bauherren, Investoren und finanzierende Institute. Wir als Halter-Gruppe sind auf Planer und Unternehmer angewiesen, wenn es um die Entwicklung und Realisierung von Gebäuden geht. Deshalb müssen wir Partner haben, die denken wie wir und die bereit sind, neue Prozesse, Produkte und Tools zu entwickeln und auszuprobieren. Deshalb laden wir Gleichgesinnte aus der Branche ein, auf unserem Weg in die Digitalisierung mitzumachen und durch innovative Konzepte neue Geschäftsmodelle, Berufsbilder und Plattformen zu schaffen und zu gestalten. Wir sind ein Do-Tank. Es geht nicht nur darum nachzudenken, sondern konkret zu handeln. Das können gemeinsame Pilotprojekte sein oder sogar gemeinsame Unternehmungen. Diese Initiative ist auf sehr offene Ohren gestossen. Wir haben enormen Zulauf von Bauunternehmern, Zulieferern, institutionellen und privaten Investoren und Planern. Wir sind auf einem sehr guten Weg, ein neues Verständnis und neue Denkmodelle in unsere Industrie hineinzubringen. Ziel ist es, über die Innovation hinaus unsere Wirkung zu verbessern, insbesondere auch bezüglich Nachhaltigkeitsaspekten und einer zirkulären Wirtschaft.
Vieles in der Digitalisierung hängt scheinbar von gemeinsamen Standards ab. Sollten diese national oder besser international sein?
Ich glaube, man überschätzt die Möglichkeiten einer Standardisierung, eines technokratischen Ansatzes in einer Zeit der sich rasch wandelnden technischen Möglichkeiten. Es ist verführerisch zu sagen, wir handeln alle gleich und wir denken alle gleich. Aber die Bauindustrie ist extrem regional und wenn man diese international und global betrachtet, findet man so viele unterschiedliche Kulturen, Usancen, aber auch Normen und Standards. Man kann sehr viel Energien verschwenden, wenn man versucht, den einen gemeinsamen Standard zu bauen. Man muss sich vielmehr an der Denkweise der Softwareindustrie orientieren. Dort ist nicht die Frage, ob alles nach dem gleichen Modell funktioniert, sondern wie kann man das «Handover» zwischen den verschiedenen Lösungen mit den richtigen Programmierschnitt- stellen hinbekommen. Am Ende werden sich aus diesen technischen Innovationen auch gewisse Industriestandards formieren. Diese sind dann nicht kraft Definition entstanden, sondern aus Bewährtem im Arbeitsalltag.
Wie schaut Raumplanung und Stadtentwicklung in 20, 50 oder gar 100 Jahren dann aus?
Ich bin kein «Digital Native» und keiner, der sich in den «Metaverses» herumtreibt. Aber auch zukünftige Generationen werden reale Geschöpfe bleiben und in der analogen Welt leben. Daran wird sich nichts ändern. Deshalb lohnt sich ein Blick zurück und zu schauen, wie Städte vor 100 Jahren gebaut wurden. Sie sind damals menschengerecht geplant und realisiert worden. Wir leben noch heute in diesen Städten und schätzen gerade diese bewährten Stadtstrukturen und Quartiere sehr. Natürlich verändern sich Möglichkeiten und Bedürfnisse. Die Grundstrukturen funktionieren aber noch, die wesentlichen Elemente, die Stadt ausmachen, bleiben die gleichen. Das ist vor allem am öffentlichen Raum abzulesen, den man früher mit Grosszügigkeit und Weitsichtigkeit, aber auch zuweilen mit einer gewissen ‘Verengtheit’ geplant hat. Das sind heute spezifische Qualitäten, die wir sehr schätzen.
Wenn man Bilder vom Zürcher Bellevue vor 100 Jahren anschaut: Das war ein riesiger Platz, wo nicht viel passierte. Irgendwann kam das Tram, die Pferdekutschen verschwanden und dann sind die Autos, Zweiräder und Busse dazugekommen. Das konnte alles aufgenommen werden und funktionierte. Man muss offen sein für künftige neue Bedürfnisse und auch neue technologische Möglichkeiten. Grosszügige öffentliche Räumen schaffen Identität, Flexibilität und die Chance neue Entwicklungen zuzulassen. Das ist eine Qualität, die auch den Menschen gerecht wird und die die Attraktivität der Stadt ausmacht. Wenn wir an den bewährten Grundelementen weiterarbeiten, wird die Stadt in 100 Jahren zwar grösser und vielzähliger, aber nicht deutlich anders ausschauen. Gewisse Flächen und Räume werden anders bespielt werden als heute. Aber die Anziehungskraft von Städten wird bleiben.